BGH: Einer Marke wie #darferdas? kann nicht wegen fehlender Unterscheidungskraft schlechthin Markenschutz versagt werden

veröffentlicht am 24. März 2020

BGH, Beschluss vom 30.01.2020, Az. I ZB 61/17
Art. 3 Abs. 1 lit. b EU-RL 2008/95/EG, Art. 4 Abs. 1 lit. b EU-RL Richtlinie 2015/2436/EU, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG 

Die ausführliche Zusammenfassung und Besprechung dieser Entscheidung finden Sie hier (BGH: Einer Marke wie #darferdas? kann nicht wegen fehlender Unterscheidungskraft schlechthin Markenschutz versagt werden). Zum Volltext der Entscheidung:


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Bundesgerichtshof

Beschluss Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30.01.2020 durch … beschlossen: Auf die Rechtsbeschwerde der Anmelderin wird der am 17.07.2017 an Verkündungs Statt zugestellte Beschluss des 27. Senats (Marken-Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Bundespatentgericht zurückverwiesen. Gründe: I.

Die Markenstelle des Deutschen Patent- und Markenamts hat die Anmeldung der Wortmarke

#darferdas? – soweit noch von Bedeutung – für folgende Waren der Klasse 25 Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Die Beschwerde der Anmelderin ist ohne Erfolg geblieben (BPatG, Beschluss vom 03.05.2017, Az. 27 W(pat) 551/16, juris). Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihr Eintragungsbegehren weiter. Der Senat hat mit Beschluss vom 21. Juni 2018 dem Gerichtshof der Europäischen Union die folgende Frage zur Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Marken (ABl. L 299 vom 8. November 2008, S. 25) zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, GRUR 2018, 932 = WRP 2018, 1196 – #darferdas? I): Hat ein Zeichen Unterscheidungskraft, wenn es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gibt, es für die Waren oder Dienstleistungen als Herkunftshinweis zu verwenden, auch wenn es sich dabei nicht um die wahrscheinlichste Form der Verwendung des Zeichens handelt? Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage mit Urteil vom 12. September 2019 (C-541/18, GRUR 2019, 1194 = WRP 2019, 1444 – AS/DPMA [#darferdas?]) wie folgt beantwortet: Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG ist dahin auszulegen, dass die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, zu prüfen ist. Mangels anderer Anhaltspunkte handelt es sich dabei um die Verwendungsarten, die angesichts dessen, was in der betreffenden Branche üblich ist, praktisch bedeutsam sein können. II. Das Bundespatentgericht hat angenommen, der angemeldeten Wortmarke fehle für die genannten Waren jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Dazu hat es ausgeführt: Bei dem reinen Wortbestandteil des angemeldeten Zeichens handele es sich um eine in deutscher Sprache gehaltene unmittelbar verständliche Frage, die mit dem Fragezeichen entsprechend kenntlich gemacht sei. Das vorangestellte Rautezeichen „#“ werde der angesprochene Verkehr als Hinweis darauf verstehen, dass es um die schlagwortartige Bezeichnung eines Diskussionsthemas zu der Frage „Darf er das?“ gehe. Dem Zeichen könne zwar weder ein beschreibender Gehalt noch ein enger beschreibender Bezug zu den angemeldeten Waren entnommen werden. Es handele sich jedoch um eine aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache zusammengesetzte Zeichenfolge, die vom angesprochenen Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werde. Das gelte auch und gerade im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren „Bekleidungsstücke, insbesondere T-Shirts; Schuhwaren; Kopfbedeckungen“. Diese seien oftmals mit „Fun-Sprüchen“ oder bekenntnishaften Aussagen versehen. Bei der angemeldeten Bezeichnung handele es sich um eine derartige „Botschaft nach außen“. Deshalb sei eine Verwendung der Zeichenfolge als deutlich sichtbarer Schriftzug auf der Vorderseite oder der Rückseite von Bekleidungsstücken wie T-Shirts oder als erkennbarer Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren und somit als Motiv die wahrscheinlichste und zugleich eine praktisch bedeutsame Verwendungsform der Zeichenfolge. Auf ebenfalls denkbare, aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame anderweitige Verwendungen des angemeldeten Zeichens komme es nicht an. In einem gut sichtbaren Aufdruck der Zeichenfolge „#darferdas?“ auf Bekleidungsstücken, Kopfbedeckungen oder Schuhen sehe der angesprochene Verkehr lediglich ein Gestaltungsmittel und keinen Herkunftshinweis. III. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. 1. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist das im Streitfall maßgebliche Recht novelliert worden. Die Richtlinie 2008/95/EG ist durch die Richtlinie (EU) 2015/2436 aufgehoben und ersetzt worden, die durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (BGBl. I 2018, S. 2357) mit Wirkung vom 14. Januar 2019 umgesetzt worden ist. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht. Das Eintragungshindernis der fehlenden Unterscheidungskraft aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2008/95/EG (MarkenRL aF) findet sich nun in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie (EU) 2015/2436 (MarkenRL) und wird unverändert umgesetzt durch § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. 2. Die Beurteilung des Bundespatentgerichts, der angemeldeten Wortmarke fehle für die genannten Waren jegliche Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. a) Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b MarkenRL (Art. 3 Abs. 1 Buchst. b MarkenRL aF) und § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und die Waren oder Dienstleistungen damit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet. Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten (vgl. BGH, GRUR 2018, 932 Rn. 7 – #darferdas? I, mwN). Keine Unterscheidungskraft haben Marken, die aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache bestehen und die vom angesprochenen Verkehr stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. BGH, GRUR 2018, 932 Rn. 8 – #darfer-das? I, mwN). b) Das Bundespatentgericht hat angenommen, die angemeldete Marke werde vom angesprochenen Verkehr stets nur als eine aus gebräuchlichen Wörtern der deutschen Sprache zusammengesetzte Zeichenfolge und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden. Bei der Prüfung des Schutzhindernisses der fehlenden Unterscheidungskraft sei auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des Zeichens abzustellen. Auf ebenfalls denkbare – aber weniger wahrscheinliche und auch praktisch nicht so bedeutsame – anderweitige Verwendungen komme es nicht an. Hier sei eine Verwendung der Zeichenfolge als deutlich sichtbarer Schriftzug auf der Vorderseite oder Rückseite von Bekleidungsstücken wie T-Shirts oder als erkennbarer Schriftzug auf Kopfbedeckungen oder Schuhwaren die wahrscheinlichste und zugleich eine praktisch bedeutsame Verwendungsform. Eine anderweitige Verwendung des Zeichens für diese Waren, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, sei zwar ebenfalls denkbar, aber weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. c) Zutreffend ist das Bundespatentgericht allerdings davon ausgegangen, dass bei der Prüfung, ob das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft besteht, auf die Kennzeichnungsgewohnheiten im maßgeblichen Warensektor abzustellen ist (vgl. BGH, GRUR 2018, 932 Rn. 18 – #darferdas? I, mwN; EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 24 und 33 – AS/DPMA [#darferdas?]). Hierzu rechnen die Art und Weise, in der Kennzeichnungsmittel bei den betreffenden Waren üblicherweise verwendet, und insbesondere die Stelle, an der sie angebracht werden. Die Antwort auf die Frage, ob der Verkehr ein auf einem Bekleidungsstück angebrachtes Zeichen als Hinweis auf die Herkunft des Bekleidungsstücks oder als bloßes dekoratives Element auffasst, kann nach der Art und der Platzierung des Zeichens variieren. Bei Bildern, Motiven, Symbolen und Wörtern, die auf der Vorderseite oder der Rückseite von Bekleidungsstücken angebracht sind, geht der Verkehr nicht generell davon aus, es handele sich um einen Herkunftshinweis; ob dies der Fall ist, bedarf vielmehr einer Beurteilung im jeweiligen Einzelfall. Dagegen wird der Verkehr in Zeichen, die sich auf eingenähten Etiketten auf der Innenseite von Bekleidungsstücken befinden, regelmäßig einen Herkunftshinweis sehen (vgl. BGH, GRUR 2018, 932 Rn. 18 – #darferdas? I, mwN). d) Die Annahme des Bundespatentgerichts, im Rahmen der Prüfung der Unterscheidungskraft sei (allein) auf die wahrscheinlichste Verwendungsform des Zeichens abzustellen, hält dagegen der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. aa) Nach dem aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Senats ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union muss die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, geprüft werden (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 33 – AS/DPMA [#darferdas?]). Sind in der maßgeblichen Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssen bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 25 – AS/DPMA [#darferdas?]). Verwendungsarten, die in der betreffenden Branche zwar denkbar, aber praktisch nicht bedeutsam sind und somit wenig wahrscheinlich erscheinen, sind dagegen für die Prüfung der Unterscheidungskraft irrelevant, es sei denn, der Anmelder hat konkrete Anhaltspunkte geliefert, die eine in der fraglichen Branche unübliche Verwendungsart in seinem Fall wahrscheinlich machen (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 26 AS/DPMA [#darferdas?]). Die Prüfung der Unterscheidungskraft kann mithin nur in den Fällen auf die wahrscheinlichste Verwendung der angemeldeten Marke beschränkt werden, in denen in der betreffenden Branche nur eine Verwendungsart praktisch bedeutsam ist (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 32 AS/DPMA [#darferdas?]). bb) Danach kann dem angemeldeten Zeichen nach den bisherigen Feststellungen nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist mangels abweichender Feststellungen des Bundespatentgerichts zugunsten der Anmelderin davon auszugehen, dass es neben einer dekorativen Verwendung auch andere praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten einer Verwendung des Zeichens für die hier in Rede stehenden Waren gibt, beispielsweise auf dem Etikett eines Kleidungsstücks. Dem steht nicht entgegen, dass nach den Feststellungen des Bundespatentgerichts eine solche Verwendung im Verhältnis zu einer Verwendung etwa als Schriftzug auf der Vorderseite eines Kleidungsstücks weniger wahrscheinlich und auch praktisch nicht so bedeutsam und naheliegend ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind der Prüfung der Unterscheidungskraft sämtliche wahrscheinlichen Verwendungsformen des Zeichens zugrunde zu legen (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 33 – AS/DPMA [#darferdas?]). IV. Die Entscheidung des Bundespatentgerichts kann danach nicht aufrechterhalten werden. Sie ist aufzuheben und die Sache an das Bundespatentgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 89 Abs. 4 Satz 1 MarkenG). Im wiedereröffneten Beschwerdeverfahren wird das Bundespatentgericht zu klären haben, ob unter Berücksichtigung der verschiedenen Verwendungsarten, insbesondere auch auf dem Etikett eines Kleidungsstücks, der Verkehr das Zeichen #darferdas? als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der damit gekennzeichneten Waren wahrnehmen kann. Vorinstanz: Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.07.2017 – 27 W(pat) 551/16 – 177.2017 – 27 W(pat) 551/16