OLG Dresden: Eine einstweilige Verfügung ohne vorherige Abmahnung führt im Fall des Art. 23 Produktpiraterie-VO nicht zur Kostentragungspflicht des Antragstellers

veröffentlicht am 5. April 2016

OLG Dresden, Beschluss vom 02.03.2016, Az. 14 W 106/16
Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung; § 93 ZPO

Die Entscheidung des OLG Dresden haben wir hier besprochen (OLG Dresden – eV ohne vorherige Abmahnung) und im Folgenden im Volltext wiedergegeben:


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Oberlandesgericht Dresden

Beschluss

In Sachen

wegen Markenrechtsverletzung

hier: Kostenbeschwerde

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch … ohne mündliche Verhandlung am 02.03.2016 beschlossen:

1.
Die sofortige Beschwerde der Verfügungsbeklagten wird zurückgewiesen.


2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.


3.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 3.500 EUR festgesetzt.


Gründe


I.

Die Verfügungsklägerin vertreibt insbesondere Mobiltelefone mit dem „B.-Logo“, welches u.a. durch eine Gemeinschaftsmarke geschützt ist. Die Verfügungsbeklagte handelt mit Elektronikzubehör. Sie versuchte im Juni 2015, 30 gefälschte „B.“-Produkte aus Hongkong nach Deutschland einzuführen. Das Hauptzollamt setzte die Überlassung am 15.6.2015 aus und unterrichtete die Parteien mit Fristsetzung bis zum 2.7.2015 hiervon. Die Verfügungsbeklagte widersprach mit Schreiben vom 26.6.2015 der Vernichtung der Waren.

Die Verfügungsklägerin veranlasste am 30.6.2015 eine Abmahnung – mangels anderer
Kommunikationsformen per Post – mit einer Frist bis zum 1.7.2015. Die Verfügungsbeklagte reagierte auf die Abmahnung, die ihr am 3.7.2015 zugegangen sei, nicht.

Mit Antrag vom 3.7.2015 erwirkte die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin eine auf die
Unterlassung des Vertriebs markenverletzender Mobiltelefone, auf Einwilligung in die Herausgabe von Verletzungsgegenständen zur Verwahrung an den Gerichtsvollzieher sowie auf Auskunft über den Vertriebsweg gerichtete Beschlussverfügung vom 3.7.2015, die der Verfügungsbeklagten die Kosten auferlegte.

Nach Abschlusserklärung vom 7.8.2015 und Kostenwiderspruch vom 3.9.2015 hat das Landgericht mit Urteil vom 4.11.2015 die Kostenentscheidung aus der Beschlussverfügung vom 3.7.2015 bestätigt. Hiergegen wendet sich die Verfügungsbeklagte mit der sofortigen Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist nach § 99 Abs. 2 ZPO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Verfügungsbeklagte kann sich nicht mit Erfolg auf die Ausnahmevorschrift des § 93 ZPO stützen, da aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht der Verfügungsklägerin unter den Voraussetzungen des vorliegenden Falles Anlass zur Stellung des Eilantrages ohne vorherige Abmahnung bestand.

1.
Im Kosteninteresse der Beklagtenseite ist vor Einreichung eines Eilantrages in der Regel
eine Abmahnung entbehrlich, wenn neben anderen Ansprüchen mit dem Eilantrag auch ein auf die Sicherung eines Vernichtungsanspruchs gerichteter Sequestrationsantrag zur Herausgabe von Verletzungsgegenständen an den Gerichtsvollzieher gestellt wird. Eine solche Abmahnung liefe dem Zweck der Sequestrationsanordnung zuwider, soweit sie der Gegenseite Zeit und Gelegenheit gäbe, diejenigen Maßnahmen zur Beiseiteschaffung der Verletzungsgegenstände zu ergreifen, die mit der einstweiligen Verfügung gerade unterbunden werden sollen (OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29; OLG Frankfurt GRUR 2006, 264; Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aul. 2015, § 12 Rn 1.48 m.w.N.; GK-UWG/Feddersen, § 12 Rn 49 m.w.N.).

2.
Entbehrlich ist eine Abmahnung darüber hinaus bei einem Verfahren nach Art. 23 Abs. 3
Produktpiraterieverordnung. Zwar wird dabei die betroffene Ware von der Zollbehörde angehalten, so dass sie nicht beiseite geschafft werden kann. Eine Abmahnung ist für den Gläubiger gleichwohl unzumutbar. Unterbleibt bei einem Widerspruch des Schuldners gegen eine Vernichtung der Waren nach Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung eine Abmahnung, ist ihr Fehlen daher rechtlich bedeutungslos.

a)
Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung ist seit 1.1.2014 gültig (Verordnung (EG)
Nr. 3295/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie zum Verbot ihrer Ausfuhr und Wiederausfuhr, ABl. EG Nr. L 341 v. 30. Dezember 1994, ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1383/03 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Vorgehen der Zollbehörden gegen Waren, die im Verdacht stehen, bestimmte Rechte geistigen Eigentums zu verletzen, und die Maßnahmen gegenüber Waren, die erkanntermaßen derartige Rechte verletzen, ABl. EG Nr. L 196 vom 2. August 2003, S. 7; ersetzt durch die Verordnung (EU) Nr. 608/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates, ABl. L 181 vom 29.06.2013, S. 15-34). Die Regelung schreibt vor, dass die Zollbehörden dem Inhaber einer – dem Antrag auf Tätigwerden der Zollbehörden im Hinblick auf Waren, die im Verdacht stehen, ein Recht geistigen Eigentums zu verletzen – stattgebenden Entscheidung unverzüglich mitteilen, wenn der Anmelder oder der Besitzer der Waren seine Zustimmung zur Vernichtung nicht schriftlich bestätigt hat und nicht davon ausgegangen wird, dass er mit der Vernichtung einverstanden ist. Dann hat der Inhaber der Entscheidung innerhalb von zehn Arbeitstagen (oder im Fall verderblicher Waren innerhalb von drei Arbeitstagen) nach der Mitteilung über die Aussetzung der Überlassung der Waren oder deren Zurückhaltung ein Verfahren zur Feststellung einzuleiten, ob ein Recht geistigen Eigentums verletzt wurde.

Diese Mitteilung erfolgt nach Art. 17 Abs. 3 bzw. 18 Abs. 3
Produktpiraterieverordnung. Danach unterrichten die Zollbehörden den Anmelder oder den Besitzer der Waren innerhalb eines Arbeitstags nach der Aussetzung der Überlassung der Waren oder deren Zurückhaltung über diese Aussetzung oder Zurückhaltung. Am gleichen Tag oder umgehend im Anschluss an deren Unterrichtung sind auch der Inhaber der Entscheidung bzw. Personen oder Einrichtungen, die im Zusammenhang mit der vermuteten Verletzung von Rechten geistigen Eigentums zur Antragstellung berechtigt sind, von der Aussetzung der Überlassung oder der Zurückhaltung der Waren zu unterrichten.

b)
Mit dieser Mitteilung läuft für den Inhaber der Entscheidung eine Frist von zehn
Arbeitstagen. Dabei ist zunächst ungewiss, ob der gleichzeitig unterrichtete, derselben Frist unterliegende Besitzer der Waren einer Vernichtung zustimmen wird oder nicht. Widerspricht er der Vernichtung fristgerecht, wird dies dem Inhaber der Entscheidung unverzüglich mitgeteilt. Dann hat er ein zivilgerichtliches Verfahren zur Feststellung der Rechtsverletzung einzuleiten – und zwar innerhalb der verbleibenden Frist. Weist er nicht innerhalb dieser verbleibenden Frist die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Schutzrechtsverletzung der Zollbehörde nach, wird diese nach Art. 23 Abs. 5 Produktpiraterieverordnung die Waren überlassen bzw. die Zurückhaltung beenden.

c)
Bei dieser fristgebundenen Obliegenheit des Gläubigers zu gerichtlichem Vorgehen
nach Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung ist ihm eine Abmahnung nicht zumutbar.

Unzumutbar und damit entbehrlich ist eine Abmahnung nicht nur, wenn infolge der Abmahnung die Warnung des Schuldners (s.o. a), sondern auch die Verzögerung des gerichtlichen Verbots den Rechtsschutzzweck vereiteln oder unverhältnismäßig gefährden würde (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl. 2011, Kap. 41 Rn 30 m.w.N.). Der Zweck des begehrten Rechtsschutzes, den Unterlassungs- und Vernichtungsanspruch hinsichtlich der rechtsverletzenden Ware durchzusetzen, wird aber unverhältnismäßig gefährdet, falls der Gläubiger bei einem Widerspruch des Schuldners diesen noch (hinsichtlich der Unterlassung) abzumahnen hätte. Die Einlegung dieses Widerspruchs hat der Gläubiger nicht in der Hand, auch nicht hinsichtlich des Zeitpunkts. Erhebt der Schuldner den Widerspruch erst gegen Ende der 10-Arbeitstagefrist, verbleibt dem Gläubiger nur der – mitunter knappe – noch ausstehende Zeitraum der Frist, um ein Verfahren einzuleiten und dies der Zollbehörde nachzuweisen. Eine Abmahnung könnte diese Mitteilung verzögern, insbesondere wegen ihrer Zugangsrisiken wie im Streitfall möglicherweise über den Ablauf der Frist hinaus, so dass die Ware überlassen bzw. die Zurückhaltung beendet würde mit der sich daraus ergebenden Gefahr eines Beiseiteschaffens.

Der Gläubiger kann dabei auch nicht auf eine Fristverlängerung nach Art. 23 Abs. 4 Produktpiraterieverordnung um im Höchstmaß weitere zehn Arbeitstage verwiesen werden. Diese Frist dient der Entscheidung des Gläubigers, ob eine Schutzrechtsverletzung vorliegt und deshalb ein gerichtliches Verfahren eingeleitet oder die Ware durch die Zollbehörde überlassen werden soll. Sie dient nicht dazu, dass der Schuldner Zeit erhält, auf eine Abmahnung zu reagieren. Den Parteien bleibt eine außergerichtliche Lösung nicht verwehrt. Mit einer ohnehin streng zu handhabenden Verlängerung der Frist aus diesem Grund kann aber nicht ohne weiteres gerechnet werden.

Auch eine Abfolge von Sequestrierung und Abmahnung scheidet aus. Einen Sicherungsantrag hätte die Verfügungsklägerin nur dann mit Erfolg gerichtlich geltend
machen können, wenn bereits Klarheit über den Unterlassungsanspruch und die Unterwerfung besteht, so dass beides zu verbinden ist (OLG Stuttgart NJW-RR 2001, 257; Teplitzky, a.a.O., Kap. 41 Rn 30 Fn 190 m.w.N.).

So liegt es auch im Streitfall, in dem die mangels anderer Kommunikationsmöglichkeiten per Post versandte Abmahnung vom 30.6.2015 erst am 3.7.2015 und damit nach Fristablauf am 2.7.2015 der Gegenseite zugegangen sein soll. Nach Fristablauf könnte ein durch die Beschlagnahme gewarnter Schuldner die überlassene Ware beiseiteschaffen und dadurch den Rechtsschutzzweck vereiteln. Die Verfügungsbeklagte hatte schon vor der Abmahnung mit ihrem Schreiben vom 26.6.2015 an das Zollamt (ASt 6), in dem sie der Vernichtung ausdrücklich nicht zustimmte, um eine schnellstmögliche Freigabe der Sendung gebeten, obwohl nunmehr nach Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung ein gerichtliches Verfahren einzuleiten war.

d)
Darüber hinaus würde mit dem Erfordernis einer Abmahnung im Falle eines Widerspruchs der mit der Aussetzung der Überlassung bzw. Zurückhaltung bezweckte rasche und wirksame Rechtsschutz zur Durchsetzung von Rechten geistigen Eigentums mittels der Zollbehörden unterlaufen (Erwägungsgrund 4 der Produktpiraterieverordnung). Zweck der Abmahnung ist es, das Streitverhältnis auf einfache, kostengünstige Weise vorprozessual zu beenden und einen Rechtsstreit zu vermeiden (BGH GRUR 2010, 257 Rn 11 – Schubladenverfügung; Brüning in Harte/Henning, UWG, 3. Aufl. 2013, § 12 Rn. 3). Diesem Zweck dient auch das vereinfachte Verfahren nach Art. 23 Abs. 1 Produktpiraterieverordnung (Erwägungsgrund 16 der Produktpiraterieverordnung). Art. 23 Abs. 1 Produktpiraterieverordnung geht davon aus, dass beide Seiten innerhalb von 10 Arbeitstagen über eine Zustimmung zur Vernichtung der Waren entscheiden können und müssen. Verhindert der Schuldner durch seinen Widerspruch die Durchführung dieses vereinfachten Verfahrens, erlegt Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung dem Gläubiger die Last zu fristgerechtem gerichtlichen Vorgehen auf, um die Rechtsverletzung festzustellen. Damit ist der Konflikt, wie mit der beim Zoll angehaltenen Ware verfahren werden soll, in einer Systematik ineinandergreifender Fristen und Mitteilungen durch die Verordnung geregelt. Eine zusätzliche kostenrelevante Abmahnlast, vor und erst recht nach einem Widerspruch eine außergerichtliche Lösung zur Unterlassung hinsichtlich weiterer, nicht angehaltener schutzrechtsverletzender Waren zu finden, würde die Fristen belasten und die Vorschrift unterlaufen. Sie kann demnach dem Gläubiger aus dessen maßgeblicher ex-ante-Sicht nicht zugemutet werden.

e)
Der Schuldner ist auch nicht schutzwürdig. Er ist durch die Mitteilung der Zollbehörde gewarnt. Überdies hat er selbst den Widerspruch eingelegt und muss deshalb nach Art. 23 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung mit einem gerichtlichen Verfahren rechnen, zumal die Mitteilungen der Zollbehörde Angaben zu dem in Art. 23 genannten Verfahren enthalten müssen, Art. 17 Abs. 3, Art. 18 Abs. 3 Produktpiraterieverordnung. Mit dem Einlegen des Widerspruchs macht der Schuldner die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Feststellung einer Rechtsverletzung überhaupt erst notwendig. Dann kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die Gegenseite habe ihm nicht rechtzeitig, auch nicht vor dem ungewissen Widerspruch, eine außergerichtliche Streitbeilegung angeboten.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Beschwerdewert ergibt sich aus dem Kosteninteresse der Verfügungsklägerin. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) sind nicht erfüllt.

Vorinstanz:
LG Leipzig, Az. 05 O 1903/15